Nachruf
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Christoph Merki, Reformierte Stadtkirche Baden, Abdankung Bruno Rub 12. Juni 2015
Wie der Jazz Bruno Rub eine Welt eröffnete: eine Würdigung
Er wirkte gelassen. Schnell sagte Bruno Rub, als ich ihn kurz nach der Diagnose seiner Krankheit zuhause in Ennetbaden besuchte: „Ich habe ein gutes Leben gehabt“. Bei einem späteren Besuch sagte er es wieder: Ein „erfülltes Leben“ habe er gehabt. Bruno hat diese heutige Abdankungsfeier in der ihm eigenen Sorgfalt vorausgeplant. Und er bat darum, dass bei ihr einige Worte geäussert würden speziell zu seiner Jazz-Seite. Über sein Berufsleben hinaus als langjähriger Jazz-Redaktor bei Radio DRS galt eben: Der Jazz war etwas, das ihn in seiner Seele ausfüllte – Bruno wünschte sich so, dass dies auch in dieser Stunde heute zur Geltung komme. Sein „gutes Leben“ brachte er nicht zuletzt mit dem Jazz in Verbindung.
Bruno konnte ein starkes Vokabular wählen, wenn er von der Strahlkraft des Jazz sprach. In seinem Buch etwa über den Kontrabassisten Erich Peter, 2007 veröffentlicht, dachte Bruno Rub darüber nach, wie im Kopf des jungen Erich Peter, der in den 1950ern unter den Verhältnissen der Stadt Aarau gross geworden war, gewissermassen eine Jazz-Parallelwelt habe entstehen können. Bruno wörtlich: „Wo und wann es zum Urknall gekommen war, aus dem heraus diese andere Welt entstanden ist, lässt sich heute nicht mehr genau sagen.“ Eine andere Welt: Bruno war selber ein lebendiges Beispiel für diese „andere Welt“. Ein lebendiges Beispiel für das ansteckende Feuer der Jazzmusik. Was für eine Begeisterung etwa – ich erinnere mich genau an diesen Moment –, als er mir berichtete vom Song „I Guess I’ll hang my tears out to dry“ in der Version des Tenorsaxofonisten Dexter Gordon. Solche Musik ging ihm sehr nahe.
Auch die heutige Abdankungsfeier ist ein Spiegel von Brunos Hingabe an die Jazzmusik. Als mir Bruno auseinandersetzte, wie er diese Abdankung plane – mit einem Jazz-Ensemble mit von ihm namentlich bestimmten Musikerinnen und Musikern -, da lief ein kleiner Film ab vor meinem geistigen Auge. Wir haben in all den Jahren ja unzählige Male im Badener Trudelkeller zu Mittag gegessen, die Gespräche kamen vom Hundersten ins Tausendste – auch das Thema Tod und Sterben konnte so aufkommen: Wir haben diskutiert über „Straight No Chaser“, einen Dok-Film über den Jazzpianisten Thelonious Monk. Der Film hält in seinen letzten Minuten die Abdankungsfeier für Monk fest: eine Abdankung als eine Art Jazz-Messe. Die Musikerfreunde von Monk waren in der Kirche zugegen. Sie spielten Jazz. Im offenen Sarg lag Monk, die Gemeinde paradierte an ihm vorbei. Es war alles, aber etwas nicht: – ein einsamer Tod.
Noch etwas anderes ging mir durch den Kopf: Ich erinnerte mich an eine Diskussion über die Lebenserinnerungen von Georg Hensel, Bruno wie ich hatten diese Lebenserinnerungen des bekannten deutschen Theaterkritikers gelesen. In ihnen findet sich eine Stelle, wo der von Herzproblemen gebeutelte Georg Hensel – etwas, das Bruno Rub mit ihm teilte – vor einer Herzoperation seine eigene Abdankung plant. Und: Es sollte dabei nicht die Musik von Bach erklingen. Nein, zu erklingen hatte der „Wabash Blues“ von Duke Ellington und Johnny Hodges auf der Platte „Back to Back“. Und genau so wie Hensel sah auch Bruno jetzt im Jazz jene Musik, die ihn zuletzt begleiten sollte.
Dabei war Bruno, das muss man gleich sagen dürfen, keinesfalls der Fanatiker einer Musik. Bruno lebte den Satz von Hanns Eisler, dass, wer nur von Musik etwas versteht, auch von dieser nichts versteht. Kurz, Bruno Rub war das Gegenteil eines bornierten Menschen, der glaubt, die Welt reduziere sich auf eine einzige Sache. Er war frei von allem Messianismus. Eigenartig, wir haben oft über Jazzmusik gesprochen miteinander, und dennoch: Ich habe ihn immer viel breiter wahrgenommen. Und man wüsste nicht, wann Bruno, dieser Causeur, einen angeschwiegen hätte. Dafür war er zu wach, dafür verfolgte er das Geschehen zu aufmerksam. Bizarrerweise wohnte Bruno, als wir uns kennenlernten vor drei Jahrzehnten, noch eingangs von Wettingen; in der gleichen Liegenschaft, in der Bruno wohnte, hatten auch die Zeugen Jehovas ihren „Königssaal“. Deren Welt aber stand Bruno Rub ohne Zweifel ziemlich fern. Aller geistigen Verengung und geistigen Schein-Organisiertheit war er abhold.
Das heisst nun wiederum nicht, dass es Bruno nicht gerne organisiert hatte im pragmatischen Sinne im Leben. Er war diszipliniert, in seiner Radio-Arbeit, wo er Arbeitsabläufe genau ritualisiert mochte; überhaupt in der Organisation seines Tagwerks war er sehr genau. Legendär die Pünktlichkeit seines Eintreffens beim Mittagstisch im Badener Trudelkeller: Bruno kam jeweils zu Fuss von Wettingen her über die Hochbrücke, pilgerte „über den Jordan“, was in seiner Sprechweise die Limmat meinte – und er erreichte den Trudelkeller so exakt zur Zeit, dass man sich an den Philosophen Immanuel Kant erinnert fühlte, von dem es heisst, man habe in Königsberg die Kirchturmuhren nach ihm richten können. Im Trudelkeller angekommen, löste sich alles in Entspannheit auf. Eine andere Seite leuchtete auf: Die Worte flogen hin und her bei diesen Tischbegegnungen oft auch mit Urs Tremp, Hanspeter Hutmacher, Alex Spichale, Marco Fueter, Hans Zbinden; zwei, drei Stangen lösten die Zunge, und an Arbeit war danach manchmal nicht mehr zu denken. Sie war auch gar nicht mehr nötig, denn anregend, bereichernd war das Gespräch mit Bruno gewesen.
Dass er ein Mensch voll Esprit war, und dass er am Ende bilanzieren konnte, er habe „ein gutes Leben“ gehabt – das war nun überhaupt nicht zum Vornherein festgeschrieben in seiner Biografie. Bruno hat mir einmal erzählt von ihn beeindruckenden Überlegungen des
Aarauer Historikers Urs Bitterli. Bitterli sinnierte im Aargauer Tagblatt darüber nach, was berufliches Fortkommen bedeute, was Erfolg im Leben bedeute …. und er meinte: Erfolg per se gäbe es nicht. Man müsse immer schauen, mit welchen Bedingungen ein Mensch gestartet sei. Diese Einsicht empfand Bruno, der in einfachen Verhältnissen in Kleindöttingen aufgewachsen war, als treffend für sein eigenes Leben.
Bei einem Besuch bei Bruno kurz vor seinem Hinschied versuchte ich herauszuspüren, was es mit Folgendem auf sich hat: Auffallend ja, dass Bruno Rub sich im letzten Jahrzehnt mit ausgesprochen aargauischen Musikern befasst hatte. Freilich: mit solchen, die in die Weite hinausgeschweift waren: mit Erich Peter eben, der sich in den Fünfzigerjahren aus dem Aargau verabschiedet hatte, um in den grossen europäischen Metropolen den Jazz zu spielen. Mit dem Lenzburger Gus Wildi, dieser hatte sich ebenfalls verabschiedet, in die USA, um ein Jazzlabel zu betreiben. Ob es ihn angesprochen habe, dass hier Menschen aus einer gewissen provinziellen Enge dank der Musik in die grosse Welt hinausgefunden hätten, fragte ich Bruno. Diese Frage freute ihn sehr – ihn, der immer wieder betont hat, dass es neben dem Radio der Jazz gewesen sei, der ihm die Welt geöffnet habe.
Zuerst war ihm da ganz konkret der Jazz aus England entscheidend. Zum englischen Jazz hatte er rein biografisch eine besondere Beziehung: Schon für seine Ausbildung zum Lehrer war Bruno ein halbes Jahr in London, vernachlässigte dort aber nach eigenem Bekunden seine Studien, weil er lieber dem Jazz nachging. Er lernte Musiker wie John Surman und andere mehr persönlich kennen.
Wollte Bruno Rub darüber gar selber zum Musiker werden? Sicher nicht. Immer war Bruno dezidiert ein Mann des Wortes, er verstand sich nicht als Musiker. Er hat in Jugendzeiten einmal kurz Saxofon gespielt – aber Jazz zu spielen war nicht sein Interesse. Ihn interessierte der sinnliche Genuss beim Zuhören, ihn interessierte die intellektuelle Auseinandersetzung. Worüber er sich geärgert hat, waren Musiker, die sich nicht vorstellen konnten, dass ein Musikkritiker primär vom Wort her kommt. Der Kritiker schreibt. Er singt nicht. Das Wort ist seine grosse Liebe. Keine Sekunde lang hat sich Bruno Rub als verhinderten Musiker gesehen, auch so konnte er sagen „ich habe ein gutes Leben gehabt.“
In seiner Funktion als Musikkritiker habe ich Bruno Rub viel stärker in einer Rolle als Vermittler kennengelernt denn als scharfzüngigen Kritiker oder gar als Polemiker. Bruno hat sich nicht mit dem Jazz auseinandergesetzt, um etwas vor seine Flinte zu bekommen. Man erlebte ihn vor allem als einen Enthusiasten, als einen, der z.B. begeistert von der Gesangskunst einer Shirley Horn sprechen konnte, als einen, dem es fast Schmerzen bereitete, als er – ich habe zugehört am Radio – in einer Live-Sendung aus Montreux bei einem Konzert der gealterten Ella Fitzgerald feststellen musste, dass diese nicht mehr hundertprozentig rein intoniere.
Insofern war Bruno nahe bei den Musikinnen und Musikern. Aber er war auch nahe bei einem breiten Publikum. Er war wesentlich beteiligt an der DRS-Sendung „Apero“, die zur besten Sendezeit lief und eine breite Hörerschaft erreichte. Bruno Rubs musikalische Vorlieben standen auch keineswegs quer zu Publikumsbedürfnissen. Natürlich war Bruno früh regelmässiger Besucher des Jazzfestivals Willisau, setzte sich mit dem Freejazz auseinander. Und doch waren ihm die ganz freien Spielarten des Jazz eher fremd. Der Jazz, den Bruno Rub liebte, swingte. Er swingte hart oder swingte ganz sanft. Er brachte die Dinge auf diese Weise zum Tanzen. Der Hardbop-Jazz der 1950er-Jahre war eine seiner grossen Lieben. Und ganz hingerissen war er von der Kunst der grossen Jazzsängerinnen wie Betty Carter oder Sarah Vaughan.
Er sah den Jazz nicht so sehr als eine Ästhetik des Widerstands, sondern eher als eine Ästhetik des Vergnügens, der Leichtigkeit des Daseins. Und wenn man dann hörte, wie Bruno über den Jazz beim Tischgespräch redete, dann konnte die Jazzkultur auch zur Kultur des lauten Lachens werden. Jazz wurde ihm zum Stoff für allerlei Causerien, und liebend gerne näherte sich ihm Bruno via Anekdoten. Da konnte er etwa zum Besten geben, einer habe einmal den berühmten Tenorsaxofonisten Zoot Sims, an der Bar in einer Konzertpause, gefragt, wie es komme, dass er alkoholisiert so gut spiele. Worauf Zoot Sims geantwortet habe: Er übe eben auch alkoholisiert! Solche Anekdoten liebte Bruno. Und das auch, wenn es um helvetische Begebenheiten ging: Es war auch Bruno, der mir diese, später auch von andern bestätigte Geschichte erstmals erzählte. Als Louis Armstrong einst nach Zürich kam und am Flughafen landete, wurde er von den Tremble Kids und ihrem Trompeter Edi Jegge begrüsst. Armstrong sagte zu Jegge anerkennend: You play a good trumpet. Worauf Jegge, der Schweizer Trompeter, gesagt habe zum grossen Armstrong: You too!
Da sind wir mit Anekdoten von Bruno Rub also beim Helvetischen, mithin auch Regionalen angekommen. Und das scheint mir nun zum Ende eine ganz wichtige Feststellung zu Bruno zu sein: Mag sein, dass der Jazz ihm den Blick für die Welt geöffnet hat, mag sein, dass er ihn zur Zeitgenossenschaft führte. Aber unübersehbar bleibt, dass dies bei Bruno immer auch ausging von einer Verwurzelung im Lokalen, im Kanton Aargau, besonders in Baden. Schon dass er den Jazz kennenlernte, geschah nicht irgendwo, sondern am Lehrerseminar im Kloster Wettingen: Hier teilte er das Zimmer mit dem jungen Klarinettisten A. Dettwiler, der wiederum eine Jazzband hatte, in der sich ein Vibrafonspieler befand namens „Woody“ Burger: der spätere Aargauer Schriftsteller Hermann Burger. Und wenn Bruno erzählte, wie tief ihn sein erstes grosses Jazzkonzert beeindruckt habe, eines mit der Quincy Jones Bigband, so spielte dieses Konzert nicht irgendwo, sondern: – im Kursaal Baden.
Bruno gehörte zu den Gründern des Vereins Jazz in Baden, dessen Präsident er jahrelang war. Er schrieb Texte zum Jazz für die lokale Presse, wurde zum Chronisten des Aargauer Jazz. Ob in den Badener Neujahrsblättern oder den Aarauer Neujahrsblättern: allenthalben finden sich in ihnen Textbeiträge zum Jazz von Bruno Rub. Bruno war eben nicht nur der Wanderer, der sich in London umtat. Er hatte etwas Gottfried-Keller-haftes, war einer, der sich selber beschränkt, eine kleine Welt liebt und pflegt. Man spürte etwas von einer Verbundenheit mit dem Aargau, die auf tausend Fäden beruht, auf tausend kleine Erfahrungen. Eine Verwurzelung, wenngleich er aller Heimattümelei fernstand. Nur schwer fällt die Vorstellung, dass Bruno anderswo als in der Region Baden hätte wohnen können.
Und da unterscheidet sich dann Bruno Rub doch von Erich Peter, dem von ihm porträtierten Kontrabassisten, der in die weite Jazzwelt eingetaucht war und ein nomadisierendes Leben aus dem Koffer führte. Erich Peter starb am Ende einsam in seiner Wohnung am Ziegelrain in Aarau. Bruno aber war ein Integrierter. Und da gleicht er doch sehr dem eingangs erwähnten Pianisten Thelonious Monk. Thelonious Monk war in seinem New Yorker Wohnquartier fest verwurzelt: Hier hatte er seine Freunde. Hier hielt er auf dem Trottoir an, wenn es einen Schwatz zu machen galt. Hier war er zuhause.
„Ich habe ein gutes Leben gehabt“ hat Bruno gesagt. Er sagte es wohl auch, weil er seine Jazzliebe in enger Verbindung mit Baden und dem Aargau lebte. Weil er Teil einer Gemeinde war, Teil einer Jazzgemeinde.
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Christoph Merki, Tages Anzeiger, 22. Mai 2015
Badener Jazz-Publizist Bruno Rub
Wenn in den Achtzigern eine markant-rauhe Stimme im Radio über Jazz sprach, live berichtete etwa von einem Konzert Ella Fitzgeralds in Montreux, dann war das nicht selten jene Bruno Rubs. Der Badener Kulturjournalist war von 1984 bis 2004 Jazzredaktor bei Schweizer Radio DRS 2. Als Schreiber reportierte Rub etwa fürs „Magazin“ über die Jazzszene Londons, einer Stadt, der er sich über den Jazz hinaus verbunden fühlte. Überhaupt fiel Rub durch seinen weiten Horizont auf. Rub stand so für die Einsicht Hanns Eislers, dass man von Musik nur dann etwas verstehen kann, wenn man auch über sie hinausdenkt. Die einstige Tagesschau-Moderatorin Dominique Rub war in erster Ehe mit ihm verheiratet. Mit vielen Aargauer Kulturpersönlichkeiten stand Rub im Kontakt, vom Pianisten Christoph Baumann bis hin zum Schriftsteller Klaus Merz. Sein Lebensthema blieb dabei der Jazz: Bruno Rub war auch Gründer des Vereins Jazz in Baden. Er suchte so früh einen institutionellen Rahmen für eine brodelnde Aargauer Jazzszene um Musiker wie Urs Blöchlinger. In seinem 2007 erschienenen Buch „Der Teamplayer“ (Hier + Jetzt-Verlag) porträtierte Rub den international erfolgreichen Aarauer Kontrabassisten Erich Peter. Noch für die aktuelle Ausgabe des Schweizer Jazzmagazins „Jazz’n’More“ porträtierte er mit Gus Wildi einen Lenzburger, der in den USA ein Jazz-Indielabel betrieb. In deren Lebensläufen sah Rub gewissermassen seinen eigenen Lebensweg gespiegelt. Der Jazz habe ihm den Blick für die Welt geöffnet, erzählte Rub oft. Diese Musik habe ihn aus der Enge herauswachsen lassen, in seinem Falle aus der Enge einer Arbeiterfamilie am Klingnauer Stausee im Aargau. In der Nacht auf Donnerstag ist Bruno Rub 70-jährig an einem Krebsleiden gestorben.
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Urs Tremp, Badener Tagblatt, 30. Mai 2015
Die grosse und die kleine Welt des Jazz
Rub, der seit den Sechziger-Jahren in der Region Baden und zuletzt in Ennetbaden gelebt hat, gehörte zu den profiliertesten Jazz-Kritikern und -Publizisten der Schweiz.
In die Wiege gelegt wurde ihm der Jazz nicht. Er entdeckte ihn als Lehrerseminarist. Dass er das Seminar in Wettingen überhaupt besuchen konnte, verdankte er der Fürsprache eines Lehrers. Der Besuch einer Mittelschule war in den Fünfzigerjahren für einen Jungen aus Kleindöttingen eher unüblich. Der junge Seminarist war scheu, aber aufgeweckt.
Er liebte das gedruckte Wort, vor allem aber liebte er das Radio. «Das Radio und der Jazz haben mir die Welt eröffnet», sagte er später immer wieder. Rub war Primar- und Bezirksschullehrer, Redaktor beim «Aargauer Volksblatt» und schliesslich Redaktor beim Schweizer Radio, wo er bald zur neu entstandenen Jazz-Redaktion gehörte. Sachkompetenz und sprachliche Eleganz – geschult nicht zuletzt an der deutschsprachigen Lyrik von Barock bis Brecht – machten die Qualität seiner Sendungen aus.
Bis zur Pensionierung betreute er die DRS-2-Vorabendsendung «Apéro». Rubs Kontakte waren weltläufig. Doch er behielt stets Verbindung mit der lokalen und regionalen Jazz-Szene: «Keine grosse Welt ohne die kleine.» Der Verein Jazz in Baden, zu dessen Gründern er gehörte und dessen Präsident er viele Jahre lang war, ergänzte ab 1980 auf schöne Weise das internationale Programm von Arild Widerøes «Jazz in der Aula». Der Verein veranstaltet regelmässig Klub-Konzerte, zumeist mit regional verwurzelten Musikern (Jazz Monday im «Isebähnli»). Nicht zuletzt «Jazz in der Aula» hat den Humus geschaffen, der in der Region Baden viele gute Jazzmusiker wachsen und gedeihen liess.
Dass er als Publizist Jazz-Geschichte und -Geschichten für die Nachwelt festhielt, die sonst vergessen gegangen wären, gehört zu Rubs grossen Verdiensten. 2007 hat er die Biografie des Aarauer Bassisten Erich Peter veröffentlicht («Der Teamplayer», Verlag hier & jetzt), eines Musikers, der mit den ganz Grossen des internationalen Jazz gespielt hatte, aber schon bei seinem Tod 1996 fast gänzlich vergessen war. Auch die allerletzte Arbeit ist einem kaum bekannten Aargauer gewidmet. In der aktuellen Ausgabe des Jazz-Magazins «Jazz’n’More» porträtiert er Gus Wildi, einen Lenzburger, der in den USA ein Jazz-Label betrieb.
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Urs Tremp, Badener Neujahrsblätter, Band 91, 2016
Unheimliche Streiche
Zuweilen spielt der Zufall unheimliche Streiche. Als am 28. September 1991 Miles Davis starb, erlitt gleichentags Bruno Rub einen Herzinfarkt. Er konnte der Tagesschau des Schweizer Fernsehens gerade noch die Bedeutung des stilbildenden Jazztrompeters erläutern, dann verbrachte er einige Tage und Nächte auf der Intensivstation. «Mir wurde», sagte er danach, «das Leben ein zweites Mal geschenkt.»
Als er Ende Februar 2015 von seiner Krebserkrankung erfuhr, dachte er an die Tage im Herbst 1991 zurück: «Ein drittes Mal das Leben geschenkt zu bekommen, darauf darf ich nicht hoffen.» Nüchtern und pragmatisch akzeptierte er, dass ihm die Stunde geschlagen hatte. Was er schon vor der Erkrankung immer gesagt hatte, wiederholte er noch auf dem Sterbebett: Er habe ein gutes Leben gehabt.
Bruno Rub wird am 16. September 1944 geboren. Der Vater ist Fabrikarbeiter und nebenamtlicher Konsumverwalter, die Mutter angelernte Herrenschneiderin. Schwester Silvia ist drei Jahre älter, Jeannette sechzehn Jahre jünger als ihr Bruder. Als Jeannette auf die Welt kommt, ist Bruno bereits ausgezogen und lebt im Internat des Lehrerseminars in Wettingen. Bruno ist aufgeweckt, interessiert und wissbegierig. Aber er ist auch scheu und unsicher. Dass ihn am Seminar Mitschüler aus besseren Kreisen seine einfache Herkunft spüren lassen, schmerzt ihn. Ein Leben lang misstraut er dem Dünkel der Mehrbesseren.
Bruno Rub ist ein begeisterter Radiohörer. Das Radio bringt die Welt in die enge Klause des Internats im Kloster Wettingen. Er hört Jazz und ist elektrisiert. Ein Konzert der Quincy Jones Bigband im Kursaal Baden (1961) wird zum prägenden Erlebnis. Ebenso nachhaltig sind die Besuche im Jazzlokal «Africana» in Zürich. Der Club erlebt just in der Zeit seine Blüte, als Bruno Rub während der Schulferien als Seminarist nachts auf der Sihlpost jobbt. Keine Nachtschicht ohne vorherige Einkehr im «Africana».
Nach dem Seminar unterrichtet Bruno Rub als Primarlehrer, studiert an der Universität Zürich, wird Bezirkslehrer. Er schreibt für Zeitungen und Zeitschriften über Jazz. Einen halbjährigen Studienaufenthalt in London nutzt er vor allem, um in die Jazzszene einzutauchen. Er lernt zahlreiche Musiker kennen, zum Teil entstehen lebenslange Freundschaften.
Bruno Rub ist kein Musiker. Er war, wie der Jazzmusiker und Jazzpublizist Christoph Merki an der Abdankung sagte, «dezidiert ein Mann des Wortes»: «Ihn interessierte der sinnliche Genuss beim Zuhören, ihn interessierte die intellektuelle Auseinandersetzung. Worüber er sich geärgert hat, waren Musiker, die sich nicht vorstellen konnten, dass ein Musikkritiker primär vom Wort her kommt. Der Kritiker schreibt. Er singt nicht. Das Wort ist seine grosse Liebe.»
Dass der Jazzkenner eine Affinität zur Lyrik hat, ist spür- und hörbar. Tatsächlich kann Bruno Rub aus dem Gedächtnis Gedichte aus dem Barock, aus der Romantik oder der Moderne rezitieren. Klassische Balladen, aber auch Gedichte von George oder Rilke kennt er auswendig.
1993 beginnt- nach einer ersten gescheiterten Ehe mit Dominique Rub-Moustopoulos in den 1970er-Jahren - «die ausserordentlich glückliche Liaison» (Bruno Rub) mit Vroni Biedermann-Ehrensperger. Im Frühling 2001 ziehen die beiden in Ennetbaden zusammen. Ende 2004 lässt Bruno Rub sich pensionieren und ist nun ausschliesslich als Jazzhistoriker tätig. Buchbeiträge für Bruno Spoerris «Jazz in der Schweiz - Geschichte und Geschichten» sowie für verschiedene Badener und andere Neujahrsblätter zeugen von dieser Tätigkeit.
Ein letzter Ausflug im Frühling 2015 führt Bruno Rub - von der Krankheit schon gezeichnet - noch einmal durch den Aargau. Er liebt die Landschaften dieses Kantons. Christoph Merki sagte es an der Abdankung so: «Bruno war eben nicht nur der Wanderer, der sich in London umtat. Er hatte etwas Gottfried-Keller-haftes, war einer, der sich selber beschränkt, eine kleine Welt liebt und pflegt. Man spürte etwas von einer Verbundenheit mit dem Aargau, die auf tausend Fäden beruht, auf tausend kleinen Erfahrungen. Eine Verwurzelung, wenngleich er aller Heimattümelei fernstand. Nur schwer fällt die Vorstellung, dass Bruno anderswo als in der Region Baden hätte wohnen können.»